Wenn du immer alles besser weißt, mach das doch selbst, Horst!
Uff!
Hallo Du. Ich stecke inmitten der Überarbeitung meines Kinderromans. Die Geschichte ist geschrieben, Rohfassung fertig. Aber jetzt geht’s richtig los. Nun heißt es, das Buch von vorne bis hinten umzukrempeln. Am besten in einem Rutsch. Wer selbst schreibt, weiß, dass es keinen Sinn macht, sich mal hier 10 Minuten, mal dort 10 Minuten in seine Geschichte zu denken. Ich überarbeite gerne lange Strecken am Stück. Nur so behalte ich den Überblick, ob die Szenen, Kapitel und Abläufe logisch zusammenpassen, ob Charaktere angemessen reagieren und meine Hauptfiguren das Potential haben, sie zu mögen. Seeeeehr zu mögen. Vielleicht sogar so sehr, dass Kinder einen zweiten Band lesen möchten. Man wird ja mal träumen dürfen!
In der Theorie ist die Planung perfekt. Überarbeitung? Ein Klacks!
Aber wie so oft klaffen Theorie und Praxis meilenweit auseinander. Denn da ist ja immer noch der Horst. Horst, der ständig an mir rummäkelt, weil er gerade in einer schwierigen Phase ist. »Hüst. Gerade …« Wie soll ich mich bitteschön auf meine Arbeit konzentrieren, wenn Horst …?
»Das ganze Leben ist nur eine Phase, Anne!«, unterbricht er mich.
Ich rolle mit den Augen. »Du schon wieder! Ich dachte, ….«
»Jaaaaa?«
»Ach nix. Es war nur so schön still … die letzten 30 Sekunden.»
»Du glaubst doch nicht, dass ich zusehe, wie du deine Zeit verplemperst? Damit ist jetzt Schluß!«
»Zeit verplempern? Spinnst du? Ich überarbeite!«
»Und warum solltest du das ganze Dokument neu schreiben? Warum? Ich denk, das ist fertig? Du hast einen Beitrag online gestellt, da steht in großen Lettern: ENDE! drunter. Na bitte. Mach Ende und schreib das nächste Buch. Wovon willst du denn leben?»
Ich lache auf.
»Leben? Vom Schreiben? Mannomann Horst. Hast du die letzten Monate gepennt? Dich aufs Schweineohr gepackt und die Schwarte gekrault?»
»Was ich im Schlaf mache, geht sich gar nichts an.»
»Will ich auch gar nicht wissen …« brummel ich vor mich hin.
»Dann sind wir uns wenigsten bei dem Thema einig. Warum DU allerdings ein Buch nochmal schreibst, obwohl es fertig ist, erklärt das nicht.«
»Ach, Horst, ist doch klar: Ich hab 2 Jahre lang an dem Schinken geschrieben. « Ich zögere, denn bei dem Wort »Schinken« zuckt Horst kurz zusammen. Dann lasse ich den Nerd raushängen.
»Ich habe mich entwickelt, mein Schreiben hat sich entwickelt, Horst. Ich kann die Szenen jetzt viel pointierter herausarbeiten. Meine Dialoge sind nicht mehr so gestelzt … irgendwie natürlicher. Hm … Versteh’ doch einfach: Wenn ich es JETZT schreibe, wird es besser!«
»Mpf.«
»Schreiben lernt man halt nur durch schreiben!», setzte ich nach und weiß, wie abgedroschen das klingt. Ich bin mal wieder in einen Haufen voll Schreibratgeber gefallen und das war das erste Zitat, das an meiner Stirn kleben blieb.
Horst verschränkt seine Arme, zieht die Monobraue über der Nasenwurzel zusammen, so dass sie ein kruckeliges V ergibt. Dabei luschert er mir über die Schulter und verfolgt jeden einzelnen Buchstaben. Als ich Kapitel 4 erreiche, macht er sich hüstelnd, grunzend bemerkbar. Seine Geduld ist verraucht. Und bei mir flutscht es nicht. Meine Hände schweben über der Tastatur, das regelmäßige Klackern will sich nicht einstellen.
»Gib Gas!« Seine Krallen trommeln auf dem Tisch.
»Klappe!», murmle ich.
»ANNNE!« Sein Atem ist dicht an meinem Ohr. Das kribbelt. Ich zucke zurück. Er haucht weiter. »Denk dran: Weniger ist mehr.«
»Pö!!«
Ich tu nur so, als ob ich nicht verstehe, was er meint. Dabei hat er diesmal recht, aber das mag ich natürlich nicht zugeben. Denn ich weiß inzwischen, dass Kapitel 3–5 rausfliegen werden.
»Warum schreibst Du sie dann? Die ganze Arbeit für...» Er rudert mit den Armen, pumpt die Wangen auf & pupst die Luft langsam raus.
»Das verstehst du nicht!«, patze ich. Voll erwachsen.
Horst schüttelt den Kopf.
»So kommst du mir nicht davon. Erklärs mir, als wäre ich FÜNF Jahre alt.«
Er ist quer durch den Raum stolziert und lehnt nun lässig am Türrahmen. Dieses süffisante Grinsen, das man ihm am liebsten aus dem Gesicht wischen möchte. »Besserwisser!«, denke ich. Ich sage etwas anderes und lasse mich auf die Diskussion ein. Mein Fehler.
»Fünf? Geht vielleicht auch 15?»
»Bitte.« Ein blasierter Blick.
Ich pumpe Luft in meine Lungen.
»Also,«, schnaube ich. »Die Kapitel treiben die eigentliche Story nicht voran. Deswegen fliegen sie raus. Punkt.«
»Na, dann weg damit! Sparste dir und mir eine Menge Zeit.» Damit ist die Sache für Horst erledigt.
»NEIN! Das ist nicht so einfach. Sie sind … trotzdem wichtig! Für mich.«
Sein Gesicht legt sich in entzückende Falten. Sein Körper nimmt die Form eines Fragezeichens an. »Ergibt keinen Sinn, Anne.«
»DOCH! Die Kapitel charakterisieren meine Nebenfiguren, sie bauen das ganze Setting auf. Es ist sowas wie die Geschichte VOR der Geschichte. Ein Prequel, in dem sich das Problem entwickelt.« Seifenblasen in Fragezeichenform steigen von seinem Kopf auf und zerplatzen an der Decke. Plopp. Plopp. Plopppp.
Ich stöhne gequält. Notiz an mich selbst: Wenn der Schweinehund nichts versteht, hat die Autorin keine Ruhe. Also versuche ich es anders.
»Schon mal was von Worldbuilding gehört?» Okay. Jetzt ist es offiziell: Ich klinge wie ein Fachidiot.
»Und wegen WÖRLDBILDINGGG schreibst du Kapitel und überarbeitest sie – für die Tonne? Was’n das für ne Logik?« Horsts Monobraue saust zum Haaransatz. Ich zucke die Achseln.
»Trotzdem.« Mein letztes Argument. Und jetzt fühle ich mich als wäre ich fünf Jahre alt..
Verschwende ich meine Zeit, weil ich Kapitel “rundlutsche”, die später gar nicht im Manuskript bleiben? Hm. In den Szenen wird meine Welt beschrieben. Es sind Situationen, die erklären, warum sich die beiden Völker im Buch spinnefeind sind. Aber darum geht es nicht in der Geschichte. Die setzt nämlich erst viel später an. Ich weiß, das klingt kompliziert. Aber in meiner Vorstellung muss eine Autorin die Welt, in die sie ihre Figuren schickt, ganz genau kennen. Und an dieses Wissen schreibe ich mich heran. Streng genommen ist also NICHT alles für die Tonne. Sondern für mein Gewissen. Und für mein Verständnis für die eigene Geschichte.
Bilder: Freepik AI
Nur wenn ich weiß, warum die Welt so ist, wie sie ist, können meine Charaktere logisch in ihr handeln, oder?
»Hör auf zu sabbeln, Anne. Dann verplempere halt deine Zeit. Mir tut das in der SEELE weh.« Theatralisch klopft er auf seine Schwarte.
»Da ist deine Seele drin?«, frage ich interessiert.
Horst hebt nun einen Pfotenrücken an die Stirn, schüttelt dabei beinahe unsichtbar mit dem Kopf.
»Pö!«, ploppt es aus seiner Schnute. Er wendet sich ab und trollt sich ins Wohnzimmer.
»Ich tu mir das nicht an …«, zischt es unter der Tür durch.
Nun ja. Ich schon. Und jetzt habe ich auch ausreichend Ruhe dafür. Herrlich!
Hab eine schöne Woche und sei lieb zu deinem Schweinehund – auch wenn er oder sie manchmal echt nervt!
Anne