Bunte Tüte & Körper-Klaus

Bild: Canva

Manchmal versuche ich alte Emotionen aus der Kindheit herauszupuhlen. Dieses Wochenende ist mir gelungen, ein Gefühl einzufangen, das ich seit Jahrzehnten vermisst hatte:
Die Bettschwere am Abend nach einem langen Besuch im Freibad. Zufrieden unter die flauschige Federdecke kriechen und ein letztes Mal die Sonnenflecken auf den Innenseiten der Lider tanzen sehen und Zzzzzz.

Erinnerst du dich daran?
An das Kreischen, die vorbeifliegenden Gesprächsfetzen, Lachen und Geblubber und immer wieder die lauten Arschbomben-Platscher gefolgt vom obligatorischen

»Iiiiiiiieeek – du Vollidiot!«

Die Luft satt von Sonnenmilch, Chlorpupsen und Sonnenschweiß auf nasser Haut. Der Bauch voll mit bunter Tüte, Eiscreme und Pommes. Ein Lolli passt auch noch rein. In Augen und Nase das leichte Kribbeln des Chlorwassers. Tropfende Zöpfe durchnässen eilig angezogene Kleidung. 36 Grad und morgen wird’s heißer.
Die eiernde Fahrt mit dem Fahrrad nach Hause. Und endlich Zuhause.

»Müde? ICH? Neeee, Mama. Ich bin nicht müde, das ist nur das Wasser, das in meinen Augen brennt. Uaaahhhhh!«, gähnt meine Tochter.

Die Gute-Nacht-Geschichte wird kürzer als jemals zuvor. Gleichmäßige Atmung aus zwei Mündern in dem Augenblick, da der Kopf in den Deckenturm einsinkt. Die Körper so schwer, so verdammt … Zzzzzzzzzz.

Wenn ich über diesen stinknormalen Tag in einem stinknormalen städtischen Freibad nachdenke, werde ich leise wehmütig. Sicherlich ist einiges so geblieben wie damals im Freibad meiner Kindheit. Und doch ist alles anders. Besser? Schlechter? Ich wage es nicht zu sagen.
Eines ist sicher: Der Sommer ist da. In den Herzen, in den Köpfen und bald auch auf dem Stundenplan.

36 Grad.

Beschämt werden Pareos um die Hüfte gebunden. Das Speckröllchen ist nur für den privaten Gebrauch. Paare und solche die es werden wollen, flirten mit eingezogenem Bauch und herausgestreckter Brust in der langen Schlange vorm Kiosk. Mütter jagen vorsichtig tapsend hinter Kleinkindern her. Väter lesen raschelnd Zeitung. Schwimmringe werden aufgeblasen, Kichern überall.

»Mama? Gleich rein?«
»’Türlich!«

Wasserpistolen erwischen jeden, der im Trockenen steht. Am Sprungturm wird gejohlt und rhythmisch geklatscht für diejenigen, die sich nicht trauen. Zweifelhaft, ob es ein An- oder Abfeuern ist. Fremde Füße im Gesicht. Jugendliche schubsen sich exaltiert balzend ins Wasser. Wasserball im Gedränge spielen. Ziele sind überall.
»Ups, sorry.«
Nein, nicht sorry – volle Absicht! Badelatschen ächzen. Boomboxen spiegeln einen fragwürdigen Musikgeschmack wider. Passend dazu werden Lederhäute präsentiert: Wer es bis Juli nicht geschafft hat, einen Bikinistreifen vorzuweisen, fliegt raus aus dem Club der Eitelkeit.

Körper Klaus macht einen Bauchklatscher und klettert verkrampft grinsend aus dem Wasser.

»Hej, das war gar nichts... Ohhhh.«
Sabine im flotten Tanga lässt die Pobacken für ihn tanzen. Aber nur Gucken! Nicht ansprechen. Überquellende Mülleimer, wenige Wespen, die sie umsummen. Wo sind die Insekten hin? Wir sind früher schreiend vor ihnen davongelaufen über weite Wiesen ohne Menschen.
Wind peitscht wie heißer Fön herumliegende Becher, Flaschen und Chipstüten klöternd durch schmale Gassen, die das herumliegende Menschenfleisch bilden. Fridays for Future? Was’n das? Halt die Klappe, Oma.
Doch nicht heute! Es sind 36 Grad. Nicht nur hier draußen, auch in den Köpfen der Menschen. Ab 33 Grad kommen die Ellenbogen raus. Egal wie viele sich hier tummeln.

»He! Ich war zuerst da!«, schallt es an jenem Nachmittag durch die Kakophonie des Freibads. Und ich denke im Dreivierteltakt an einen Spiegelartikel aus dem Jahr 2013 und schüttelte den Kopf. Über mich selbst. Und all die anderen.
»Zehntausend Chinesen im Schwimmbad – Schwimmreifen um den Bauch und ab ins Wasser.« Nein, so krass wie in China ist es noch nicht.

Trotz meiner Beobachtung liege ich am Ende des Tages zufrieden im Bett. Mit bunter Tüte im Bauch. Und einem Grinsen im Gesicht. Alles, was es brauchte, waren diese Sätze:
»Mama, das war sooooo lustig heute!« und
»Mama, Duuu?«
»Hmmm?«
»Ich hab Dich lieb.«
» … ich Dich auch, Hase.«

Ich bin mir sicher: In den Köpfen meiner Kinder war dieser Tag perfekt. Für sie war es wie für mich – vor langer Zeit: Ein Sommertag im Freibad mit bunter Tüte, Eis und Pommes. Mit Planschen nach Ringen zwischen Füßen fischen und Abtauchen im chlorigen Nass mit Freunden und Lachen und Liebe. Der Rest geht in glücklicher Müdigkeit unter. Und das ist gut so.

Heute habe ich ihnen diese Erinnerung geschenkt.

Und was hat Horst die ganze Zeit gemacht?
Er hat seine Schweinehundeaugen auf ein Mädchen geworfen, angestrengt seine Schwarte eingezogen und mit der Schweinehündin des Bademeisters geflirtet. Dabei ist seine Monobraue aufgeregt auf- und abgehüpft. Angenehm still war er. Hat sich nämlich nicht getraut, die Auserwählte anzusprechen. Es war schön zu sehen, dass auch ein Horst schüchtern sein kann.

Wie geht’s deinem Schweinehund diesen Sommer?

Anne
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Horst und der Welttoilettentag