Killer Queen for a day!
Ach, ich bin so froh, der Sommer dreht noch einmal richtig auf. Die Ferien sind zwar vorbei aber es bleiben uns noch ein paar Wochenenden, um sich die Erinnerung an die freien Tage mit Salz auf der Haut, Schweiß unterm Arm und Sonnencreme im Haar zurückzuholen.
Um noch einmal die Seifenblase des Urlaubsglücks zu spüren, haben wir letztes Wochenende eine Landpartie gemacht. Das Thermometer kletterte ein letztes Mal auf sagenhafte 28 Grad. Eine Temperatur, bei der sogar ich zum T-Shirt greife. Yes! Wir fuhren also in den Garten von Freunden. Mit der Sonne im Nacken, bestem Wetter im Grünen, einer Hüpf- und Planschgelegenheit für die Kinder. Freie Kost und Logie gegen etwas Gartenarbeit – wer könnte da NEIN sagen? Eine Hand wäscht die andere. Quit pro quo.
An der Stelle hätte ich aufhorchen sollen. Wo war der Haken?
Er fand sich schnell. Denn zur Gartenarbeit gehörte, in der Dämmerung die Pflanzen vor Nacktschnecken zu beschützen.
NACKTSCHNECKEN!
Horst fiepte, hüpfte kreischend in meine Arme und verlor sogleich sein Bewusstsein. Zum Glück sind Schweinehunde nur so schwer wie ein Gedanke. Horst mag die unbepelzten Viecher, die wir familienintern Nudisten nennen, ungefähr so gerne wie ich Krieg oder Leber. Dennoch sammelten wir fleißig. Und aus: »Hej Mama, hier ist eine!« wurde schnell: »Mama, komm mal mit dem Eimer, hier ist ein ganzes Nest.»
»Hier auuuuuch!«
Wir sammelten und sammelten und bald war der Garteneimer voll. Längst hatten wir aufgehört zu zählen. Denn nun stießen wir auf ein weiteres Problem:
Wohin mit der verdammten Ernte?
Nicht nur ethisch betrachtet ein Dilemma. Für die Entsorgung unserer tierischen Salatfeinde hatten wir einen Masterplan an die Hand bekommen: Wir sollten die häuserlose Bande über den Zaun zu den Nachbarn werfen. Und die scharrten bereits freudig mit den Füßen und tröteten ihr Lied dazu.
Die Enten und Kröten konnten ihren abendlichen Lieferdienst kaum erwarten. Und da sind wir auch gleich beim Kern des Verbrechens: Meine Kinder und ich sollten zur Killerbrigade abgestempelt werden und hunderte von Nacktschnecken den hungrigen Mäulern und Schnäbeln dem Fraß vorwerfen. Ich schluckte angesichts dieser unfreiwillig mörderischen Aktion nicht nur einmal. Dennoch:
Die erste Schnecke flog über den Zaun. Und wurde mit Partygeschnatter auf der anderen Seite empfangen!
Kurz schoss mir das Bild eines Schlüpfers, der sich an Bruno Mars’ Schulter verfängt durch den Kopf und Jubel des Publikums brandete in meinen Ohren auf. »Mensch Anne, das sind Enten, keine Rockstars!, sagte ich zu mir. Aber sie waren mindestens genauso laut.
»Quak!«
»Kröt!«
»Quak Quak!"»
»Doppelkröt!«, rülpsten die Kröten im Duettbattle zurück.
Es fühlte sich nicht richtig an. Vielleicht bin ich als Vollblut-Städterin einfach zu verweichlicht? Meine Freunde vom Bauernhof haben in den 80ern ihre Kannickel ein Jahr lang gestreichelt und gepflegt und dann Weihnachten auf dem Teller gehabt. Guten Appetit!
»Börp, legga. Danke Mama.», hätten sie gesagt und wären zur Tagesordnung übergegangen. Die hätten kein Problem damit, die aalglatten Biester in die glimmende Glut werfen. Oder den Enten vor ihre Watschen.
Tja, aber so bin ich nicht.
»Kommt Ladies. Wir machen einen Ausflug.«
»JETZT?«
Ich nickte. Und meine Miene duldete keinen Widerspruch.
Mit dem Eimer in der einen und einem Bierchen in der anderen Hand trottete ich voran zu einem brachliegenden Feld, kurz vor einem idyllischen Wäldchen. Die Mädels folgten mir – natürlich ohne Bier. Im Exil angekommen, schütteten wir den schleimigen Klumpen, bestehend aus sich windenenden glibbernden Körpern, ins Gebüsch.
»Bööööaaarrrgh!«
Wir würgten, alle gleichzeitig. Und ich weiß jetzt schon, dass aus all dieser Idylle, der ganzen wunderbaren Natur, dem Summen der Insekten, dem Rauschen des Windes in den Blättern des Wäldchens und dem Kosten der ersten reifen Äpfel von den Bäumen im Garten, sich nur dieser eine Moment unseres Ausflugs, in die Köpfe meiner Töchter brennen würde. Auf den Stapel mit Kindheitserinnerungen.
»Mamaaaaa, weißt du noch, damals, im Nacktschnecken-Sommer?»
Ja, ich weiß …
»Okay Mäuse. Jetzt beginnt der gute Part – versprochen!«
Wir kehrten zurück in einen schneckenlosen Garten. Der Appetit aufs Grillen war mir vergangen aber zum Glück lassen sich meine Kinder von sowas nicht beirren. Ständig blitzten die schleimigen Leiber vor meinen Augen auf. Und auch in der Nacht schreckte ich mehrfach auf und schaute nach, ob die Schnecken, ihren Weg zu uns gefunden hatten, um sich den Garten zurück zu erobern. Sie sah nicht besonders amüsiert aus in meinem Traum, die Invasion der Nacktschnecken.
Kennst du »Save the cat?«
Die Puzzleteile der folgenden Szene fielen mir vor die Füße.
Stell dir mal vor, der Protagonist oder die Protagonistin aus deiner Geschichte begegnet einem neuen Nachbarn. Erstes Geplänkel verläuft positiv. »Nettes Kerlchen…«, denkt sie oder er und lächelt in sich hinein. Sympathien funken hin und her, Freundschaft blitzt auf. Vielleicht sogar Liebe? Genreabhängig, geb ich zu.
Und dann plötzlich. Es ist einer dieser schönen Tage. Kühler Wind auf sonnengewärmter Haut. Vogelgezwitscher, summende Bienen, ein Blick, der sogleich in die Eingeweide schießt, grummeln im Darm vor Aufregung. Aber dann hebt dieses nette Kerlchen eine Nacktschnecke auf und verfüttert sie – ganz selbstverständlich – an eine der Enten.
Kreiiiisch!
Ist mein Loveinterest ein Killer?!
Was geschieht nun mit den zarten Banden zwischen unseren Charakteren? Haben sie noch eine Chance oder zieht sich dein Prota zurück? Übrigens: Das war ein typischer »Kill the Cat-Schachzug«. Die Phrase ist eine Umkehrung der berühmten Plotstruktur »Save the Cat«, benannt nach dem gleichnamigen Schreibratgeber des Autoren Black Snyder.
Nehmen wir mal die gegenteilige Situation unter die Lupe:
Die beiden Figuren wandeln mit klopfenden Herzen durch den Garten. Sie haben sich viel zu erzählen. Und plötzlich schnappt sich der neue Nachbar eine Nacktschnecke vom Boden und hält sie deinem Prota vor die Nase.
»Guck mal, eine Gastropoda. Spannende Tiere. Und viel niedlicher als man glaubt. Ich habe ein großes Terrarium für sie in meinem Wohnzimmer.» Er deutet auf seine frei herumlaufenden Enten. »Hier ist es zu gefährlich für sie.«
Ein Nacktschnecken-Terrarium um Wohnzimmer. Ein lang gehegter Alptraum wird wahr. Anders als vermutet, ist das übrigens kein klassischer »Save-the-Cat–Schachzug«. Zwar dient in beiden Fällen die Interaktion mit der Gastropoda der Charakterisierung des neuen Nachbarn. Aber mal ehrlich: Beide Erzählstrukturen führen eher dazu, den neuen Nachbarn abstoßend zu finden, oder?
Wen hättest du denn lieber neben dir wohnen? Den Killer oder den Tierfreund? Ich schwanke noch. Muss wahrscheinlich ein bis fünf Nächte über das Ergebnis schlafen. Ganz ohne Schnecken in meiner Nähe. In jedem Fall scheint es mir gesünder zu sein, die kleinen Geheimnisse und Abgründe meiner Nachbarn, nicht zu kennen. Noch nicht.
Horst ist übrigens erst Zuhause wieder aus seiner Ohnmacht erwacht.
»Anne, ich hab echt schlecht geträumt.«, schmatzte er und rieb sich die Schwarte. »Da waren Nacktschnecken. Viiiiele Nacktschnecken und sie waren üüü…» Er schüttelte entsetzt den Kopf.
»Alles gut Horsti. Es war nur ein Traum.«, beruhigte ich ihn.
Hab eine schöne Woche und grüß deinen Schweinehund von mir.
Anne