Von 0 auf 100 – wenn das Leben den Turbo zündet

Bild: Flux 1.0

Panik! Attacke!

Panik war in den vergangenen Monaten mein ständiger Begleiter. Anfang Mai riss mich ein unerwarteter Moment aus meinem sonst recht turbulenten Arbeitsalltag: Alle laufenden und zukünftigen Projekte wurden plötzlich auf Eis gelegt.

Kein: »Anne, wir brauchen die Anzeige.«
Kein: »Anne, könntest du...?« Nichts.

Und ehrlich gesagt, anfangs war das sogar angenehm. Endlich Zeit, den Roman in meinem Kopf niederzuschreiben. Neue Ideen durften frei kreisen – in einer Ruhe, die ihresgleichen suchte. Herrlich!

Doch je lauter die Stille auf Seiten meiner Kunden wurde, desto mehr schlich sich eine bedrückende Frage in meinen Kopf: Was, wenn es einfach nicht mehr weitergeht? Wenn die Krisen um uns herum – Kriege, Rezession, Inflation – mein Arbeitsumfeld endgültig lahmgelegt haben? Was, wenn ich einfach nicht mehr gefragt bin?
Der anfängliche Stillstand, den ich als willkommene Pause begrüßt hatte, verwandelte sich zunehmend in lähmende Frustration. War ich überhaupt noch relevant? Hatte ich mit weit über 40 noch eine Chance in der Werbung? Und das Know How, um gegen meine Freiberufler-Konkurrenz anzustinken?

Wilder Aktionismus!

Aus dieser Angst heraus wuchs eine hektische Betriebsamkeit, die mich in einen reißenden Strudel aus Website-Bau, Akquise und innerlichem Durchdrehen stürzte. Nach außen hin bewahrte ich zwar Ruhe, allein den Kindern zuliebe, aber in mir tobte das Chaos. Die Panik, den Anschluss zu verlieren, trieb jeden meiner Akquiseversuche an.

Kurzerhand meldete ich mich zu einer KI-Fortbildung an, um zu lernen, all meine Ideen so schnell wie möglich visualisieren zu können. Für neue Kampagnenideen das absolute Must Have! In meinem Beruf sollte man alle Vorurteile und ethisch relevante Einwände beiseite schieben und sich den künstlichen Intelligenzen und ihren Angeboten zuwenden.

Unter uns: Was KI kann, ist berauschend! Es öffnet eine faszinierende, neue Welt, die auch beruflich neue Perspektiven schafft. Aber so aufregend das alles war, die Angst blieb stets an meiner Seite.

Aber dann. ZACK! Meine Akquise-Maßnahmen griffen plötzlich und mein Leben schaltete vom Schlummer- in den Desert-Race-Modus. Mit einem einzigen Anruf.

Kennst du die Desert Race Bahn im Heidepark?

Das ist ein Fahrgeschäft mit Nahtoderfahrung. Ich hatte das Vergnügen dieses Jahr. Von 0 auf 100 in weniger als einer Sekunde.

Der Moment, in dem die Schubkraft einsetzt, reißt dich mit. Aus dem Stand wirst du in den Sitz eines Raketenjets gedrückt. Mein Herz schlägt nicht mehr – es flimmert. Der Puls hämmert in den Schläfen, Adrenalin explodiert in meinen Adern. Die Welt zischt vorbei, mein Gehirn flattert hinterher, ohne Hoffnung, mitzuhalten. Wer denkt schon in Lichtgeschwindigkeit? Alles, was zählt, ist der rohe Vorwärtsdrang. Eine Fahrt, die niemals endet …

»Hast du Zeit für einen Job?«, lautete die Frage, die lieblich aus meinem Smartphone klang.
»Aber klar, immer für euch!«
»Schleim nicht rum … ist ja eklig!«, plärrt Horst mir ins Ohr.
Das »Schhhh...« bleibt mir auf den Lippen hängen. Die Fahrt beginnt. Eine Welle von Arbeit reißt mich mit. Tag und Nacht. Kein Atemholen. Doch ich bin bereit, sie zu umarmen.
»Hallo, Arbeit, alter Freund. Ich habe dich vermisst!«

Aber die Schubkraft lässt nicht nach. Ein Blick zur Seite. Horst hat die Augen weit aufgerissen und klammert sich an meinen Arm.
»Wwww ww… wann hört diese Fahrt endlich auf, Anne?«
»Ich weiß es nicht, halt duuuuurch! Biiiitttteee.« Ich schreie, aber der Fahrtwind trägt meine Worte davon.

Drei Wochen später …

… blicke ich in den Rückspiegel, nur für einen Moment. Denn Zeit für die kleinen, schönen Dinge im Leben ist weit, weit weg. Keine Zeit für meine Kinder. Keine Eiskugeln nach der Schule, kein: »War alles gut heute, Spatz?« Keine Ruhe, um der Antwort zu lauschen. Keine Zeit für Gespräche mit meinem Mann, einen Film, ein Buch, ein...
»Keine Zeit für MICH!«, murrt Horst und verschränkt die Arme. Er dreht sich weg – kalte Schulter. Oh weh. Ich weiß, es wird eine Weile dauern, bis ich ihn aus seiner Ecke herauslocken kann. Mukschige Schweinehunde sind eine Sache für sich: Sie brauchen viel Zuwendung.

Die Sehnsucht nach meinen turbulenten und doch so herrlich normalen Arbeitsalltagen zerrt an mir. Ich vermisse es, zu schreiben. Ist jetzt etwa die Zeit, die Reißleine zu ziehen und vom Turbo- auf Schlummermodus umzustellen?

»Ha! Du weißt doch, was nächste Woche ansteht. Wie willste das bitte im Schlummer-Modus schaffen?“ Horst rümpft seine Rüsselschnauze und seine Monobraue hüpft vielsagend bis zum Haaransatz. Er hat ja recht! Ab nächster Woche wird alles noch wilder:

Ich fahre zur Frankfurter Buchmesse. Pitches (hoffentlich) im Kopf und genug Selbstbewusstsein, um sie zu präsentieren. Ich werde netzwerken wie ein Duracell-Hase. Nur mit weniger rosa. Es reicht, wenn einer, der diesen Blog vertritt, mit Pink aufwartet.

Und dann nehme ich nicht nur,meine Jobs wieder auf. Nein, das wäre langweilig! Denn nach der Messe ist vor dem Schreiben. Oktober ist DER Monat vorm NaNoWriMo. Meinen persönlichen NoWriMo hatte ich bereits im Mai. Ich habe einen Kinderroman ab 10 Jahren geschrieben, voller Fantasy und Spannung und …

»Vergiss nicht zu erwähnen, dass du witzig bist.«, mischt Horst sich wieder ein.
»Das sollen andere beurteilen, Horst …«
»Quatsch, der Roman ist wirklich sehr lustig. Also: Ich hab gelacht!«
»Na, das ist die Hauptsache…«, murmele ich.
»Ge-Nau!« Zufrieden tätschelt er seine Wampe.

Wo war ich? Ach ja, der Roman. Der muss überarbeitet werden. Und im November nehme ich mir ein ganz neues Genre vor: einen Kinderroman – ganz ohne Fantasy.

»Bist du sicher?«, fragt Horst skeptisch.
»Öhm… ja?«
»Bist du dir gaaaanz sicher?«
»Jaaahaaa. Das erste Kapitel ist doch längst fertig!«
»Keine Fantasy?«
»Yuppp. So real wie du und ich.«

Wir schauen uns an. Ein Grinsen zuckt über sein Gesicht, aber er kommt nicht mehr dazu, etwas zu sagen. Denn in diesem Moment zündet der Desert Race den »No Limit Button«.

»Aaaaaaahhhhhhhh!«

Und du? Lebst du auch im Desert Race Modus, oder bist du eher der Typ für die Chill-Zone? Egal, wie schnell oder langsam es bei dir gerade läuft: Hauptsache, du – und dein Schweinhund – genießen die Fahrt!

Anne

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